RUHE & BEWEGUNG
Leseprobe aus DER DRITTE SCHRITT
Qigong – Miniaturen & Rezepte
In unserer modernen Gesellschaft ist ein harmonisches, natürliches Gleichgewicht von Ruhe und Bewegung, selten geworden. Zu stark sind die ökonomischen und sozialen Abhängigkeiten, die unseren Alltag beeinflussen. Diese gesellschaftliche Haut können wir nicht so leicht abstreifen, oder ablegen wie einen Mantel. Wir leben mit Wege-
Beziehungen, die einen zeitlichen und bewegungsaktiven Rahmen vorgeben: Wohnung, Erwerbstätigkeit, Ausbildung, Studium, Haushalt, Familie, Freizeit und von vorn: Wohnung …
Unsere Wegstrecken könnten wir schnell und meist überschaubar skizzieren. Wenn wir in einer Großstadt leben, sind diese Strecken selten eine körperliche Herausforderung (abgesehen von den Bedingungen, die durch Klima, Menschenansammlungen, Fahrplänen und Staus erschwert werden).
Wir sind zwar in Bewegung, doch irgendwie nicht richtig…
Ruhe und Bewegungslosigkeit gehören zu unserem Leben, jedoch nicht in dem Maße wie wir Menschen in den Industrieländern und hier in den Großstädten es täglich praktizieren. Ich behaupte, es gibt nur drei Arten von Ruhe und Bewegungslosigkeit, sowie eine vierte Sonderform, die später erläutert wird.
Bei dieser Gliederung muss man jedoch einschränkend bedenken, dass aus mikrobiologischer Sicht, Bewegungslosigkeit in unserer Wirklichkeit nicht erkennbar ist. Solche Betrachtungsweisen, die besonders mit den Erkenntnissen der Neuen Physik des 20. Jahrhunderts Diskussionen über den Mikro- und Makrokosmos unseres Lebens entfacht haben, sind sehr nahe an den inneren Prozessen und Entwicklungen unseres Organismus, die in der Übungspraxis des Qigong bedeutsam sind.
Also Ruhe und Bewegungslosigkeit haben mit Stillstand, Starre oder Entspannung nicht unbedingt etwas zu tun. Denn in jeder dieser vollkommen unterschiedlichen »RUHE-PHASEN« laufen mit unvorstellbarer Geschwindigkeit und Präzision, tausende von Prozessen in diversen Ebenen unseres Körpers auf Hochtouren (siehe Beschreibung der Ruhe-Phasen).
Drei Gründe für RUHE / Bewegungslosigkeit
In der »freien-wilden« Natur gibt es nur drei Gründe für Ruhe / Bewegungslosigkeit.
A: Gefahr – meine Sinne warnen mich und ich beobachte die Umgebung
B: Jagd – ich beobachte bevor ich zugreife
C: Schlaf – Verletzung oder völlige Erschöpfung
[D: später … ]
Beschreibung der Ruhe-Phasen
A: Gefahr/Verborgene Ruhe
Der äußeren Bewegungslosigkeit steht die Vorbereitung auf einen Sturm gegenüber. In diesem Augenblick starten/steigern sich die jeweils benötigten Sinne auf Spitzenniveau. Das Gehör wird geschärft, die Augen weiten sich, um einen peripheren Blick zu ermöglichen und die kleinste nähernde Bewegungen zu erkennen. Der aktivierte Kreislauf bereitet die Sauerstoffversorgung in der Muskulatur vor, damit blitzschnell eine Flucht oder ein Kampf stattfinden kann. Die Schmerzempfindlichkeit nimmt ab. Verdauungsprozesse werden heruntergefahren bzw. eingestellt. Leider ist es uns nicht vergönnt Haut und Haare der Umwelt anzupassen, wie es andere Bewohner dieses Planeten praktizieren, um Gefahren und Fressfeinden zu entgehen.
[In unserer sozialen Gemeinschaft gibt es jedoch ähnliche, beabsichtigte oder zufällige, Phänomene der Unsichtbarkeit: gesengter Blick, um Augenkontakt zu vermeiden / vermummende Kleidung, die die Körpersilhouette verbirgt / verborgene Hände, die Berührung verhindern / angepasstes Tempo an Bewegungen der Umwelt – u.a.]
B: Jagd/Gespannte Aufmerksamkeit
Ähnlich der Gefahrensituation kommt es zu einer Differenzierung zwischen Innen und Aussen. Die äußere Erscheinung kann zwischen Erwartung, Gelassenheit und höchster Anspannung pendeln. Erwartung in Bezug auf den Wechsel der Ereignissituation die ein Jagdziel in meine Reichweite bringt. Gelassenheit zur Beruhigung meiner Umwelt. Höchste Anspannung um Bewegung einzuleiten, Entfernungen zu überbrücken, den Kampf zu starten. Diese Anspannung muss nicht muskulär sein. Sie ist in allererster Hinsicht eine strategische Aufmerksamkeit zu der auch eine taktische Lockerheit / Entspanntheit gehören kann. Ebenso wie bei der verborgenen Ruhe beginnt der Kreislauf mit der Versorgung der Muskulatur. Unbedeutende Organfunktionen werden reduziert, während bedeutsame Sinne für den Kampf Höchstleistungen erbringen. Die Augen würden in diesem Falle wechseln zwischen peripherem Blick um Umwelt, Landschaft, Gegner, Beute räumlich abzuschätzen und dem unauffällig, fokussierten Blick auf das Ziel, die Position, bzw. die latente Bewegungsrichtung. Es ist möglich mit geschärften Sinnen Geruchsschwankungen, Wärmesignaturen, Kreislauf und Herzschlag eines Opfers wahrzunehmen.
Diese körperlichen Fähigkeiten sind eine Mischung von Urinstinkten zur Erhaltung der Art, Lebenserfahrung, Training und Talent. Das gilt ebenso für die verborgene Ruhe. Auch die gekonnte Vermeidung einer Konfliktsituation gehört zur Erhaltung der Art, ist eine Fähigkeit zum Überleben.
C: Schlaf/Erholung-Regeneration-Heilung
Die Ruhe-Phase SCHLAF entzieht sich größtenteils unserer Einflussnahme. Es ist wie ein automatisches Backup, wo wir ein wenig den Termin koordinieren können, den Rest erledigt das Programm. Nur ist unser körperliches Erholungs- und Heilungsprogramm wesentlich umfangreicher, differenzierter und über Millionen Jahre Evolution erprobter, als jede digitale Serviceleistung die wir kennen. Deshalb ist diese Ruhe-Phase so wesentlich für unsere Lebensqualität. Wenn hier Störungen permanent auftreten, ist unsere gesamte Lebensaktivität gefährdet.
Es ist jedoch möglich diese Ruhe ebenso zu fördern, wie wir sie behindern können.
Nach der Ruhe · Bewegung
Für die Zeit zwischen diesen extremen Ruhebereichen / Ruhephasen hat die wilde Natur hauptsächlich Bewegung vorgesehen. Zugespitzt formuliert sind wir Menschen in der Lage vom Zeitpunkt der ausgereiften körperlichen Entwicklung bis zum Tode auf der Erde herumzurennen. Einige Spezies auf unserer Erde sind sogar in der Lage wenige Augenblicke nach der Geburt mit der Herde weiterzuziehen. Die Entwicklungsgeschichte des Menschen hat dazu geführt, dass die Ausprägung der körperlichen und geistigen Reife etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt, um zum höchstentwickelten Individuum auf diesem Planeten heranzuwachsen. Unser Organismus ist jedoch im Wesentlichen in der Lage Bewegungsleistungen zu erbringen, die auch vor 10 000 Jahren zum Überleben nötig waren.
Das betrifft Bewegung in all ihrer Vielfalt. Vom dezenten Räkeln, Strecken und Dehnen, über schwingen, swingen, tänzeln und tanzen bis zum extatischen Auspowern unserer Bewegungsmöglichkeiten im Spiel, Wettbewerb, Kampf oder Flucht.
Nun leben wir heute nicht mehr im wilden Norden, Süden, Osten und Westen, somit kommen diverse neue, erzwungene und verführerische Ruhemomente hinzu:
das Hängen über Schreibtisch, Werkbank oder über der Reling, das Sitzen im Auto, der Tram, Metro, dem Hörsaal, im Flugzeug, Strandkorb, vor dem TV oder am Tresen. Wundervolle neue Plätze überfüllt mit Bewegungslosigkeit bzw. mit Bewegungsarmut. Das kann in der Fülle nicht gesund sein.
Der Wunsch nach Ruhe, Entspannung, Meditation, der in der heutigen Zeit um sich greift, ist ein Motor für die rasante Entstehung immer neuer Wellness- und Relax-Programme – die wiederum auf bewegungsarme und sehr gut genährte Körper treffen.
Kein Wunder, dass die ersten Empfehlungen der Ärzte auf dem Weg zu einem gesunden
Organismus, intensive, kardio-muskuläre Bewegungsarten, sowie Überprüfung der eigenen Ernährungsgewohnheiten sind. Und vollkommen zu Recht, würden bei einer landesweiten Realisierung solcher Konzepte die meisten der sogenannten Zivilisationskrankheiten stark zurückgedrängt werden.
Der Wunsch nach Ruhe und Meditation
Der Wunsch nach Ruhe und Meditation ist angesichts der realen physischen, körperlichen Belastungen unerklärlich. Denn in den Industrienationen ist der Anteil der physischen Forderungen im Berufsleben und Alltag stetig gesunken, während die kognitiven Belastungen anstiegen. Den Beweis dafür bleibe ich hier schuldig, da es heutzutage schon zum Allgemeinwissen gehört und die Betrachtung der Job- und Branchenangebote im deutschen Berufsleben diese Tatsache leicht belegen kann.
Wenn wir diese Differenz zwischen der körperlichen Leistungsbereitschaft und der Realität ausgleichen wollten, müssten wir in unserer Freizeit/Sozialzeit nur noch im Aktion-Modus agieren. In einigen Fällen geschieht das ja auch. Diverse Lauf- und Radsportgruppen, Spinning-Treffs, Kardio- und Kampfsportangebote versuchen hier, ebenso wie die Spielsportarten, einen Ausgleich zu schaffen.
Die Entscheidung ob ich Bewegung oder Entspannung suche, ist immer sehr individuell und auch abhängig von vielen sozialen und körperlichen Einflüssen. Nach meiner Erfahrung, hält sich der Wunsch nach intensiver Bewegung und Ruhe fast die Waage, obwohl scheinbar der Entspannungsbedarf größer geworden ist und ständig wächst.
Warum aber nach Ruhe suchen, wenn unser Bedarf nach Bewegung so enorm ist?
Der Schlüssel zu dieser Frage scheint im Anwachsen der allgemeinen geistigen Belastung, in allen Feldern unseres Lebens, zu liegen. Unsere heutige Medien- und Informationsgesellschaft fordert im Berufsumfeld, wie auch im sozialen Alltag der letzten Jahrzehnte, die kognitiven, mentalen, also geistigen Leistungen in ungewohnter Weise.
Die Menge an optischen und akustischen Informationen, die auf uns einprasseln hat sich vervielfacht. Dieser Input fordert Bewertungen und Entscheidungen um Handeln zu können, aber auch um Meinungen abzufragen, die an anderer Stelle zu Entscheidungen und Aktionen führen. Diese wachsende Informationsflut verführt und lenkt unsere Aufmerksamkeit direkt und indirekt, fast ohne Pause. Es ist nicht nur unser Gehirn, das die vielfältigen Informationen aufnimmt: Verständlicherweise hat sich die Belastung für Augen und Ohren verstärkt. Aber unser gesamter Organismus nimmt Töne, Lärm, Lichter, Wellen, Strahlung über Haut, Gewebe, Organe auf, bis in die Knochen. Wir müssen uns nur daran erinnern, wie gut Schall durch Flüssigkeiten übertragen wird. Dann wird uns klar, wenn unser Körper aus ca. 70% Flüssigkeiten besteht, wie optimal wir jeden Tag Geräusche, Schwingungen und Rhythmen der Großstadt in uns aufnehmen. Es ist wirklich kein Wunder, wenn wir plötzlich inmitten einer Naturlandschaft, deren sanfte Geräusche nicht richtig erfassen können, da die fehlenden Schwingungen der Stadt noch in unseren Knochen nachbeben – so sind wir hingerissen von Entzugserscheinungen und Genuss.
Untrainiert
Die Vermutung, dieser permanenten Einflussnahme fast untrainiert gegenüber zu stehen, ist nicht ganz korrekt. Wir sind alle in diesen Alltag hineingewachsen. Wir dürften nicht überrascht sein, von der Welt in der wir leben.
Kinder haben noch nicht die Wahl und Macht mediale Grenzen zu ziehen. Hinzu kommt, dass ihre erste Neugier und der Wunsch nach Input, aus dem natürlichen Drang entsteht, die Welt zu erkennen und dann zu begreifen. Grenzen werden erst durch Beispiel und Erziehung im sozialen Umfeld vermittelt, oder eben auch nicht.
Behauptung:
* Unsere Werkzeuge zum Filtern der Medienflut – sind unterentwickelt
* Eltern, sind in der »Medien-Erziehung« meist hoffnungslos überfordert
* Bildungseinrichtungen, beginnen erst mit der Erforschung des Problems, sie sind also keine Hilfe.
Da Staat und Wirtschaft eng verflochten sind, schieben sie das Problem (wie zum Beispiel im Falle der Genetik) auf die individuelle Entscheidungsfreiheit. So können sie behaupten es gibt kein Problem und müssen nicht handeln.
Das vereinfachte Ansprechen dieser Problematik soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass in diesem Umfeld die Bürgerrechte der nächsten Jahrzehnte entschieden werden. Diese Rechte und Werte, die uns scheinbar geschenkt wurden, sind bei weitem nicht für die Ewigkeit festgeschrieben. Jede Generation muss sie sich von neuem erkämpfen, bzw. sie festigen und verbessern – oder sie verwässern und werden vernachlässigt.
Anfang der 80er Jahre gab es weltweit Forschungen und Diskussionen über körperliche Auswirkungen der Jugendkultur hauptsächlich der Rockmusik auf verschiedene Organe und Funktionskreise unseres Organismus. Es gab Belege für Hörschäden, Herzrhythmus-Störungen und andere Organschäden bei exzessiven, akustischen Einflüssen. Kein Wunder also, dass selbst heute noch das Militär mit Schallwellen (W.Reitmeier, 2007; H. Schulze 2014 über »Sonic Wapons« / »non-lethalweapons«; V. Gavreau, Infrasound 1968) in Antipersonenwaffen experimentiert. Aus den Untersuchungen im Zivilbereich ergaben sich neue Normen und Gesetzesregelungen für öffentliche Events und Veranstaltungsräume. Auf das Konsumentenverhalten der Konzertbesucher, oder der beteiligten Toningenieure hat dieses Wissen kaum Einfluss ausgeübt. Denn in diesem Zirkus wirken noch viele weitere soziale, emotionale und körperliche Faktoren.
Diese Untersuchungen waren nicht die ersten ihrer Art. Sound-Forschungen gab es schon 1863 als Herman von Helmholtz am Prinzip der Intermodulation geforscht hatte. Nach Einführung von Warnsignalanlagen in Fahrzeugen um die Jahrhundertwende 19./20. JH gab es verschiedene Angebote von Glocken, Pfeifen, Sirenen und Hörnern. Um 1930 initiierten einige Fahrzeughersteller schon die ersten »Car-Horn Messungen«. Einerseits zur Erforschung der Wirksamkeit von Signalen im großen Chaos des Straßenlärms, aber andererseits könnte man sie auch im akustischen Umfeld, als beginnende Umweltschutz-Forschung bezeichnen.
In Taiji-Kreisen gab es in den 1980er Jahren immer wiederkehrende Diskussionen zur Benutzung von Walkman-Kopfhörern. Thema war, die Direktbestrahlung des Gehörs unter relativem Ausschluss weiterer Sinnesorgane. Also eine unnatürliche, einseitige Sinnesbelastung, obwohl in der Natur der gesamte Körper (alle Organe, Haut, Herz, Lunge, Gewebe, Körperflüssigkeiten, Knochen) auf Schall reagiert und diese Information verarbeitet. Aber auch dieses Wissen hat nichts gebracht, wir alle benutzen heutzutage mehr oder weniger Kopfhörer, trotz der einseitigen Sinnesbelastung.
Es ist anscheinend nicht wichtig, wie gut wir vorbereitet sind. Denn unsere Spezies Homo sapiens ist in der Regel ein Anpassungswunder. Im Großen und Ganzen gelingt es uns nach einiger Zeit mit den widrigsten Umständen und Bedingungen irgendwie zu Recht zu kommen. Das muss natürlich nicht in jedem Falle gut für unsere Gesundheit sein. Doch egal, der Zug muss weiterfahren. In der Zwischenzeit kategorisieren wir die Problemzonen und investieren in die Pharmaindustrie. Wir nennen es jetzt Zivilisationskrankheiten und pflegen ein Ranking in den Statistiken.
Wir halten die Schmerzen aus. Wir werden morgen zum Arzt gehen. Die Schuhe drücken zwar, aber nach zwei Stunden, denken wir nicht mehr daran. Auf unseren Körper zu hören haben wir verlernt. Das muss nicht so bleiben!
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich liebe Musik, auch Rock und Jazz, und viele Hits davon verlieren an Substanz, wenn man sie nur leise hören würde. Es geht hier um das bewusste Maß, wie bei allen Dingen und meine körperliche Ausgeglichenheit. In diesem Zusammenhang bekommt der Trend der Benutzung von Headsets im Stadtgebiet die aktuelle Bedeutung einer neuen Umweltverschmutzung, die schon soziale Schmerzgrenzen erreicht. Denn – der Körper reagiert immer!
Zu Hause ist´s am Schönsten
Unser Wohlbefinden ist in bedeutendem Maße abhängig von einem harmonischen Umfeld. Wir benötigen Wertschätzung unserer Mitmenschen, seien es nun die Arbeitskollegen oder die Zuneigung unserer Familie. Diese Anerkennung ist ebenso wichtig, wie unser täglich Brot, oder ein Dach über dem Kopf. Die ausgewogene Balance in Arbeitsleben und Sozialwelt ist so bedeutsam wie durchlässige Gefäße. Es ist zerstörerisch für unsere Gesundheit, wenn wir hier auf einem Kriegsschauplatz herumtänzeln. Sollten in diesen Bereichen ein Teil unserer Probleme ihre Ursache haben, ist es kein Wunder, wenn wir in Ruhe und Meditation flüchten, oder in die »Krankschreibung«. Ja, es ist eine Flucht. Wie eine kleine Kur, die dem Betroffenen ein wenig Zeit verschafft, uns aber in das gleiche Umfeld entlässt aus dem wir entkommen wollten.
Wir können gleich die nächste Kur beantragen.
Warum sollte sich denn auch die Umwelt meinetwegen ändern?
Leide ich unter Größenwahn? Um mich herum herrscht Meinungsfreiheit.
Das was ich für mich fordere, fordern alle um mich herum auch für sich. Und das ist in Ordnung, egal ob es meinen Interessen und Vorstellungen entspricht oder nicht. Ich werde diese mangelnde Einflussnahme nur ändern können, wenn ich Diktator werde. Aber das hatten wir schon.
Wenn ich die anderen nicht ändern kann – was kann ich tun?
Ich kann mich ändern,
Ich kann den Ort ändern,
Ich kann meine Zeit ändern (Zeiteinteilung / Entschleunigung),
Ich kann meine Ernährung ändern,
Ich kann die Falten auf meiner Stirn verändern…
Also lebe ich mit der Vielfalt. Ich bin nicht mehr überrascht, da ich nun weiß diese Meinungsfreiheit der anderen, hat nicht immer etwas mit mir zu tun:
Wenn jemand flucht oder schreit, oder sein Fahrzeug zu langsam fährt.
Dein Problem ist nicht mein Problem.
Ich fühle mit dir, aber ich bin nicht du.
Ich habe mein eigenes Leben – ich habe zu tun.
Ich lebe und atme tief und ruhig.
Und schon bin ich beim Qigong. In diesem Falle kann Qigong eine Methode sein, unsere Körper-Bewusstheit zurück zu erobern. Das heißt wir übernehmen sozusagen »ganzheitlich« Verantwortung für uns selbst. Für unsere Gesundheit – für unser Leben.
Mitte · »meditare« · Meditation
Jeder gesunde Mensch könnte aus der Mitte heraus handeln. Und somit natürlich sein. Nichts anderes versucht die Meditation. Aus der Mitte heraus Handeln, Denken, Gestalten oder in einigen Fällen auch Nicht-Handeln, Nicht-Denken, Nicht-Gestalten. Gemeint ist, im Großen und Ganzen: das Gleichgewicht. Die Ausgewogenheit und Harmonie.
Das ist sicherlich auch ästhetisch und künstlerisch spannend. Wenn wir unseren Körper
betrachten, aber auch vollkommen pragmatisch. Unser Organismus funktioniert in
Ausgewogenheit zwischen Bedarf und Sättigung und Funktion (incl. Nährstoffaustausch).
Die verschiedenen Kulturen die sich mit Meditation beschäftigen, haben diverse Ansätze, aber immer zwei Gemeinsamkeiten: Mitte und Ruhe.
Wenn wir unseren Körper betrachten, sind wir nicht vollständig, aber fast symmetrisch aufgebaut. So spielt das Gleichgewicht für die wesentlichen Aktionen und Funktionen eine entscheidende Rolle. Verlassen wir die Mitte, müssen wir für ein Gegengewicht sorgen, oder zurückpendeln, sonst straucheln wir. Da wir hochentwickelte, sensible Lebewesen sind, gilt diese funktionale Ausgeglichenheit ebenso für unsere Sinne, für unsere gesamte mentale, emotionale Befindlichkeit. Es ist egal ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Störungen können sich kurzfristig, oder auch nach vielen Jahren der Problemsammlung, manifestieren.
Meditation versucht in allen Fällen die Rückeroberung dieser Mitte. Die Ziele sind vielfältig: von der Heilung (Harmonisierung, Wiederherstellung der Organfunktionen) über die Entspannung (Beruhigung der Atmung, Lösen von Verspannungen usw.) bis zu religiöser Gedanken- / Geistarbeit (mit verschiedenen Zielen und Methoden).
Physische-Mitte: Die Wirbelsäule, die uns Menschen spezifiziert und einer Gruppe von höheren Lebewesen dieses Planeten zuordnet, dient nicht nur als Bewegungs-Stütze, sondern auch als zentrales Verbindungszentrum zu Nerven, Organen und Funktionsbereichen unseres Körpers. Wenn die physische Zentralstellung der Wirbelsäule gefährdet, verschoben bzw. anderweitig gestört ist, sind Auswirkungen in den Verbindungssystemen unvermeidlich. Also Nerven, Funktionen und Organe können durch Verschiebung und Störung der Wirbelsäule beeinträchtigt werden. In diesem Zusammenhang bekommt die Mitte in der Meditation eine einfache, gesundheitsfördernde Komponente.
Wie kompliziert nur allein diese physische Mitte – Arbeit ist, wird oft unterschätzt. Besonders, da es eine rein physische Körperarbeit nicht gibt. Die Verbindung und Rückkopplung von Wirbelsäule, mentaler und emotionaler Ausgeglichenheit ist höchst spannend und vielseitig. Hier finden wir oft die Ursachen, warum Entspannung und Meditation bei einigen Teilnehmern von Bewegungsunterricht nur begrenzt, oder in keiner Weise funktioniert.
(siehe ATMUNG · KÖRPER · EMOTION, S. 71)
(siehe ANHANG, S.23, Lit.: Akincano Marc Weber, Satipatthana)
Für Anfänger, ohne Erfahrung mit Entspannungssystemen ist Meditation jedoch auch deshalb eine schwere Aufgabe, da sie gleichzeitig an mehreren Fronten arbeiten müssen:
• Grundposition Stehen/Liegen/Sitzen ( Strukturarbeit )
– meinen Körper organisieren, Entspannung, physische Struktur
• Atmung
– regulieren, vertiefen (lenken, wenn es erwünscht ist)
• Geist / Gedankenarbeit
– 1000 Gedanken werden zu 1 Gedanken
– Hausaufgaben, Erinnerungen usw. vergessen, loslassen
• Korrektur
– Rückfallprüfung: Struktur, Entspannung, Atmung, Gedankenregulierung
– Diese Korrektur sollte permanent erfolgen, bis meine Körperbewusstheit
diese Aufgabe übernimmt und sie dann nicht mehr erforderlich ist.
Ein vierter Grund zur RUHE
Ich habe ihn nicht hervorgehoben, weil er so verführerisch ist. In diesen Augenblicken sind wir meist sehr ausgeglichen, »in der Mitte«, ohne darüber nachdenken zu müssen.
D: Bewegungslosigkeit
Bewegungslosigkeit bei vollkommener Zufriedenheit, Muße oder Genuss
Diesen körperlichen Zustand, diese Wahrnehmung, können wir in Ruhe, aber ebenso in einigen Bewegungsformen wiederentdecken. Hier findet man einen Ursprung der Anziehungskraft diverser, im Westen als alternative Bewegungsangebote bezeichneten Sport-, Tanz- und Fitnessarten, wie Taijiquan, Qigong, Yoga, selbst Aikido u.a. Es ist eine sehr individuelle Wahrnehmung, während der körperlichen Bewegung manchmal als »Flow« beschrieben. Auch bei Tätigkeiten, während der Arbeit oder in einem kreativen Schaffensprozess sind solche körperlichen Zustände beschrieben worden.
Es ist kaum möglich diesen Augenblick der Euphorie oder auch Seligkeit, auf einen Partner zu übertragen, ihm / ihr mit-zu-teilen. Wir können höchstens eine Annäherung erreichen. Natürlich gibt es partnerschaftliche und gruppendynamische Prozesse die versuchen, eine Verbindung zwischen verschiedenen Individuen herzustellen, aus welchen Gründen auch immer. Der eigene körperliche Augenblick zeigt jedoch – wir sind auch »im Glück allein«.
Digitale Vernetzungskonzepte helfen Menschen mit ihren hochspezialisierten Sinnen nicht weiter – höchstens als Scifi-Gedankenspiel. (»Hochspezialisierte Sinne« – sind hier evolutionshistorisch gemeint, denn wenn wir einzelne Sinne der Lebewesen auf diesem Planeten ansehen, gibt es Millionen von ihnen, die Sinne besitzen, die uns Menschen weit überlegen sind)
Also wir können nicht genau fühlen, was unser Nachbar fühlt. Und er kann meine Gefühle nicht ahnen. Er kennt nicht meine Befindlichkeit und ich kenne nicht die seine. Mit einiger Empathie kommen wir der Sache möglicherweise nahe, aber wir werden es nie genau wissen.
Und das ist in Ordnung. Denn seine Sinne, seine emotionale Befindlichkeit liegt nicht in meiner Verantwortung. Ich habe genug mit meinen Sinnen zu tun.
BEWEGUNG
Da dieser Abschnitt vorhatte sich mit Ruhe und Bewegung zu beschäftigen, scheint die Bewegung stiefmütterlich behandelt worden zu sein. Das täuscht – denn
letztendlich ist Ruhe eine Illusion.
So wie wir heute die Welt erkennen, gibt es in unserem Makro- und Mikrokosmos keine Ruhe. Selbst in der vollkommen, optimierten Meditation laufen menschliche Prozesse ab die mit Stillstand und Ruhe nichts gemein haben, egal wie lange wir darüber philosophieren mögen.
Erst wenn das Leben endet, scheint eine relative Ruhe einzukehren. An dieser Stelle beginnen jedoch die Physiker und die Priester zu protestieren. Zu diesem energetischen Wandel gibt es unzählige Ansichten, Meinungen, Hypothesen, Vermutungen, Verschwörungstheorien, immer in Abhängigkeit vom Weltbild in dem ich mich wiedererkenne, vom derzeitigen Stand der Wissenschaften sowie vom Stand unserer Glaubensansätze. Die relative Ruhe gehört jedoch nur jedoch nur zu wenigen dieser Vermutungen.
Wir können also behaupten, dass Bewegung und Veränderung – auch Entwicklung die vorherrschenden Prozesse unserer Wirklichkeit sind. Das Problem ist, ob und wie weit wir uns dieser Ebenen bewusst sind und in welcher Art wir uns beteiligen, fördern oder behindern.
Die folgenden Abschnitte behandeln hauptsächlich diese Beweglichkeit im Qigong und in unserem Alltag, in soweit sie Einsteiger interessieren könnten.(bb.2017)