Zwei Schmetterlinge
Artikel zum Qigong

In Gedanken an Josephine Zöller – freie Interpretation ihrer Hinweise zur Meditatonsarbeit und zum Qigong
Hinweise aus ihrem Nachtrag im »Tao der Selbstheilung« von 1987 neu zusammengefügt und ergänzt.
Besonders hilfreich für Übende mit Problemen bei der Entspannung.
Ich finde keine Ruhe!
Ich kann nicht Einschlafen!
Meditation funktioniert bei mir nicht!
Diesen Problemkatalog kann wohl manche geplagte Großstadtseele leicht erweitern. Dr. Josephine Zöller von der ich in den 80er Jahren lernen durfte, begann mit praktischen Basisaufgaben, die sie dann Stück für Stück erläuterte:
1. Geisteshaltung in Meditation
2. Augen und Mund lächelnd entspannt
3. die gesamte Muskulatur entspannt
4. aufrechte Körperhaltung (siehe: Der Goldener Faden)
5. die Füße wie Wurzeln auf dem Boden, im Sitzen die beiden Sitzknochen (ossa ischii) symmetrisch auf der Sitzunterlage usw.
Meditari heißt: zur Mitte hingegangen werden. Diese Mitte ist die Leibesmitte, exakt drei Daumen breit unter dem Nabel, genau auf der Mittellinie. Unser geistiges Auge, d.h. unsere Vorstellung gehe zu diesem Punkt hinter die Bauchdecke. Keine Gedanken sollen sich in der Hirnrinde bewegen. Wir sollen uns auf diese Zentrum in der Leibesmitte, das Dantian konzentrieren. Das ist die erste Schwierigkeit. »Ich kann nicht nichtdenken.«
An dieser Stelle ist einige Erfahrung nötig. Wenn die Übungstechniken zur leichten Routine geworden sind, kann die eigene Grübelei der Selbstkontrolle, nachlassen. Durch Leichtigkeit und Vertrauen kommen wir mit der Erfahrung dem hehren Ziel, das Prof. Jiao Guorui beschreibt mit »1000 Gedanken werden zu einem Gedanken«, näher.
»Wie kann ich nichtdenken?«
Durch Ruhigstellung der Augen und der Zunge. Diese beiden Sinnesorgane sind die einzigen, die wir mit der willkürlichen Muskulatur bewegen. Sie haben noch eine Besonderheit: Sie sind durch Muskeln mit dem Keilbein verbunden, dem Knochen, der die Schädelbasis bildet. In der Kinesiologie ist mittels Computer-Tomogramm nachgewiesen, dass das Keilbein durch Tätigkeit der Augenmuskeln und Bewegungen des Zungengrundes (muskulus pterygoideus) beweglich ist, wenn auch minimal.
Alle Schädelknochen erhalten von diesen Bewegungen Information, aber nicht nur sie: unsere gesamte Architektur, als die wir unser Skelett ansehen können, erhält diese Information, insbesondere unsere Körperbasis, das Becken, und da wiederum besonders die Beckenmitte mit dem Kreuzbein zwischen den beiden Beckenschaufeln. Das Kreuzbein, os sacrum oder das heilige Bein: in allen mir bekannten Sprachen heißt dieser Knochen »heiliges Bein«, im chinesischen allerdings Di gu, Basisknochen.
Ist die Achse des Kreuzbeines nicht senkrecht, dann sind auch die darüberstehende Wirbelsäule und das Steißbein nicht gerade, es entstehen Torsionen und Skoliosen (S-förmige Verkrümmungen) in der Wirbelsäule. Der oberflächliche Zentral-Meridian DuMai (Gouverneursgefäß) und auch die in der Tiefe neben der Wirbelsäule verlaufenden Meridiane können blockiert werden.
Jedoch zunächst zurück zu den Augen. Sie können sich leicht von der Bewegung am Schädel überzeugen, welche die Augenbewegungen hervorrufen. Legen Sie beide Handflächen auf den Kopf, rechts und links neben die Mittellinie. Lassen Sie nun die Augen – ohne den Kopf zu bewegen – weit nach rechts und links gehen. Sie werden diese Bewegung deutlich unter ihren Händen spüren. Noch ein Versuch: Lassen Sie die Hände ruhig auf dem Kopf liegen, bewegen Sie weder den Kopf noch die Augen, denken Sie lediglich, dass Sie abwechselnd nach rechts und links schauen, und Sie werden die gleiche Sensation unter Ihren Händen spüren. Gedanken sind Energie, wenn Gedankenenergie hin- und hergeht, geht sie auch in unserem Leib hin und her. Und noch eins: Wer denkt bewegt immer die Augen.
DuMai & RenMai
im Kleinen Energiekreislauf
grafik – ©bb8_2017
Aber auch »Starren« bringt nicht die optimal entspannte Stellung des Keilbeins und aller damit verbundenen Orte in unserem Leib. Auch das können Sie selbst nachprüfen. Lächeln Sie mit Mund und Augen, ganz entspannt; lassen Sie dann den Mund unverändert, aber die Augen blicken ernst oder sogar böse; wechseln Sie mehrmals zwischen Lächeln oder ernstem oder ärgerlich-bösem Blick. Sie werden in den Augen, aber auch auf der Stirn über der Nase und auch auf dem Schädeldach leichte Bewegung unter Ihren Händen verspüren. Dauernd ernster oder sogar böser oder ängstlicher Blick verspannt zum Beispiel den Beginn des Blasen-Meridians rechts und links neben der Nasenwurzel. Das ist aber nur einer der Effekte, von denen wir uns überzeugen können. Wenn wir dazu noch bedenken, dass das Auge – wie jedes andere Sinnesorgan – eine Kopie des ganzen Menschen in sich birgt, dann wird verständlich, dass wir mit verspannten Augen dem ganzen Organismus schaden können, wenn diese Verspannung chronisch ist.
Diese kleinen Aktionen im Auge, wie sie eben besprochen wurden, haben direkte Veränderungen als analoge Bewegungen auch in anderen zur Folge. Legen Sie die beiden Mittelfingerkuppen in die Ohrmuschel (aus der Ohr-Akupunktur ist bekannt, dass die Ohrmuschel die Kopie des ganzen Menschen ist), dann fühlen Sie auch Bewegungen in den Ohrmuscheln, wenn Sie die beschriebenen Bewegungen mit den Augen vollziehen. Auch die Fußsohle, die Handflächen sind Kopien des ganzen Menschen. Bewegen Sie nur leicht einen Großzehballen, dann werden sie Bewegung in den Ohrmuscheln fühlen. …
Jedes Sinnesorgan ist als eine Art Hologramm des Leibes anzusehen: Sinnesorgan als Mikrokosmos, der mit Qi durchflossene, also lebende Leib als Makrokosmos. Mit Zungen- und Lippenbewegungen können Sie nach gewisser Sensibilisierung diese Erfahrung immer mehr erweitern.
Nach diesem kurzen Abriss, nach diesen faszinierenden Feststellungen können wir besser verstehen, warum die Forderung zur Übungsvorbereitung lautet, die Augen ruhig und lächelnd zu belassen – und zwar während der ganzen Übung. Der Kopf ist dann leicht wie eine Feder, die Muskelansätze des Nackens zum Kopf entspannen optimal. Versuchen Sie nun noch zu fühlen, dass Sie die Augen in den Augenhöhlen aggressiv nach vorn drücken, aber auch entspannt leicht zurückziehen können, dann wird Ihnen wohltuend klar, welche Entspannung im ganzen Körper durch das lächelnde Zurücknehmen der Augen entsteht.
Die Zungenspitze am Gaumen hinter den oberen Schneidezähnen, d.h. die beiden Sondermeridiane DuMai und RenMai, werden damit geschlossen, aber der Zungengrund ist ruhig und breit, es entsteht kein Zug am Kehlbein durch den musculus pterygoideus. Die Lippen seien fast geschlossen, fast geöffnet.
Aus dem bisher Gesagten wird plausibel, dass es unerlässlich ist, Augen, Zunge und Lippen entspannt und ruhig zu halten, um dem Keilbein als Schädelbasis die symmetrische Mitte-Stellung zu ermöglichen. Mit dem entspannten Gesicht können wir uns so »den Kopf zurechtsetzen«.
Symmetrie in der Körperbasis, dem Becken – bestehend aus dem Kreuzbein, os sacrum, und zu beiden Seiten den Beckenschaufeln, die mit dem Kreuzbein durch die Ileosacralgelenke verbunden sind – kann bei Schiefstellung des Beckens erst langsam durch Qi-Gong-Übungen hergestellt werden. Das architektonische Prinzip dieser beiden Basisknochen weist auf die Form von Schmetterlingen, und was liegt näher, als die Wirbelsäule mit der Architektur einer Raupe zu vergleichen.
Dr. Zöller sah das Bild einer Raupe zwischen den beiden »Schmetterlingen« (Keilbein und Kreuzbein).
Ich habe dieses Bild mit einer Perlenkette ausgetauscht. Zum Einen weil wir nicht so einen besonderen Bezug zu Raupen haben, und wenn doch dann hauptsächlich einen negativen. Zum Anderen da eine in Bewegung geratene Perlenkette, nicht nur vom Design und Preis, Eleganz und Kostbarkeit assoziiert, sondern auch eine zusammenhängende, leichte Beweglichkeit zeigt, die wir uns für unsere Wirbelsäule oft wünschen.
[Unsere lieben Freunde Gabi und Bogo wurden im Kunsthaus Babe, in Brandenburg vor einigen Jahren geplagt vom »Eichenprozessionsspinner«, einer Raupe, die in Rahmen einer Großfamilie nette Wanderungen unternimmt und deren Härchen unangenehme bis katastrophale Hautreizungen verursacht.] Um dieses Trauma zu vermeiden, bzw. zu verarbeiten, die kleine Namensvariante von Raupe zu Perlenkette. Perlenketten haben, so weit mir bekannt ist, bisher noch keine Hautirritationen hervorgerufen. Sicherlich ist die Seidenraupe in Asien sehr positiv besetzt und bei der Wandlung der Raupe zum Schmetterling kann man mannigfaltige Geschichten fabulieren. Fürs Erste bleibe ich jedoch bei der Perlenkette.
Mit dem Denken hinein in die Beckenmitte wird es allmählich gelingen, einen Beckenschiefstand bei sich nicht nur zu fühlen, sondern ihn auch allmählich zu beseitigen.
Denn auch der Knochen ist in Struktur und Funktion ein lebendiges Gewebe und im Laufe des Lebens veränderbar. Daher ist es wichtig bei den Übungen mit seiner Vorstellung, dem geistigen Auge, in der Leibesmitte, dem Dantian, zu verweilen oder immer wieder dorthin zurückzukehren.
Für den Übenden ist zunächst wichtig, zu fühlen wo er atmet. Er muss die Bewegungen seines Zwerchfells fühlen lernen. Dazu kann wiederum ein kleiner Test dienen: Lächeln Sie mit Mund und Augen und lenken Sie Ihre Gedanken auf das Zwechfell. Nun schauen Sie ärgerlich oder gar zornig, dann wieder entspannt lächeln usw. Sie werden deutlich in der Zwerchfellgegend Spannung und Entspannung wahrnehmen. Im Zorn oder auch im Kummer, bei Angst geht die Atembewegung nur im Brustkorb vor sich. Alle Muskeln sind verspannt. Sie tun also gut daran, bei den Übungen, aber auch im Alltag, alle Spannungen erzeugende Seelenbewegungen zu entlassen.
Seien wir zum Schluss noch einmal eingedenk, dass wir – wie alles im Kosmos – Schwingungen sind, von so mannigfaltigen, aber auch veränderbaren Wellenlängen und Amplituden, dass wir uns selbst verstimmen können, nähmlich Organe, Körperorte und Seele, dass wir uns selbst aber auch in Harmonie bringen können. Jede seelische Bewegung hat ihr Analogon an ganz bestimmten Körperorten. Wir können lernen, an das, was uns wichtig zu sein scheint, einen anderen Maßstab anzulegen. In dem wir uns ent-spannen, lassen wir los, legen wir an alles, was sich in der Seele bewegt, einen anderen Maßstab an. Wir werden auch unserem »Ich« einen Maßstab anlegen, dem »Ich« als Mikrokosmos im Makrokosmos. Sehen wir unser »Ich« in Relation zum Erdball, dann ist es sehr klein, so wie der Erdball in Relation zum Kosmos sehr klein ist.
Lächelnd erreichen unsere Gefühle nicht mehr die hohe Amplitude, bei welcher wir den Organismus in seinen Schwingungen störend beeinflussen. Was verstimmt war, stimmen wir harmonisch neu ein. Dann wird unser Leib in seiner Funktion nicht gestört, wir tun uns und anderen wohl. Im kosmischen Gesamtzusammenhang dürfen wir dies als unsere Aufgabe ansehen. Qigong kann uns helfen, diese Aufgabe zu erfüllen.
Cover-Lit. Dr. med. Josephine Zöller, Das Tao der Selbstheilung, Ullstein, 1989
bb.24.05.2013